Samstag, 9. November 2013

Polyxena und die 31 Bücher - Tag 11

Ein Buch, das du immer wieder lesen würdest

Friedrich Christian Delius: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus



Wundert ihr euch über den seltsamen Titel? Habe ich auch gemacht, dadurch bin ich eigentlich auf dieses Büchlein (es hat nur knapp über 100 Seiten) aufmerksam geworden. Tatsächlich handelt es sich um eine Abwandlung eines anderen Buchtitels aus dem 19. Jahrhundert: Die Erzählung von Johann Gottfried Seume "Der Spaziergang nach Syrakus".
Die Hauptperson, Paul Gompitz, liest diese Erzählung in der Schule und von da an schlummert in ihm der Traum auch einmal nach Italien, nach Syrakus zu reisen. Selbst in Rostock, in der DDR lebend, gibt es für ihn kaum Möglichkeiten, diesen Traum zu verwirklichen. Er probiert alle legalen Wege um diese Reise machen zu können, die ihm alle verwehrt werden. Als Leser weiß man, dass Paul diese Reise nicht dazu nutzen will um in den Westen zu flüchten, er möchte seine Reise machen und anschließend in die DDR zurückkehren. Als alle legalen Mittel ausgeschöpft sind beginnt er sich mit Möglichkeiten eines illegalen Grenzübertritts zu beschäftigen. Sieben Jahre lang arbeitet er an einem akribischen Plan, der ihn dann schließlich bis nach Italien bringt. 
Schließlich schreibt er einen Brief an die Stasi, der seine Reise erläutert und in dem er erklärt, dass er jetzt zurückkehren wird. Direkt beim Grenzübertritt zurück in die DDR wird er von der Stasi verhaftet. Seine Geschichte rührt schließlich sogar den Stasibeamten, der ihn verhört.
Über diese Erzählung gibt es viele Rezensionen, ganz oft wird dabei auf die Paralleln zu Goethes "italienischer Reise" oder zu "Faust" hingewiesen. Die mag es unbestreitbar geben, aber für mich liegt der eigentliche Wert dieser Geschichte in einem viel moderneren Punkt. Dieser kleine gewöhnliche Bürger, der alles daran setzt seinen Traum zu verwirklichen und es schafft. Der aber eigentlich gar kein politisches Motiv hat und noch viel mehr, der sein Land gar nicht dauerhaft verlassen will. Der unter Lebensgefahr einen illegalen Grenzübertritt wagen muss, um einmal Italien sehen zu können und am Ende Rede und Antwort stehen muss, weil er zurück in seine Heimat will. Kein 1000seitiger politischer Roman hätte deutlicher machen können, wie sich Menschen fühlen müssen, die einerseits eine Heimat haben, die sie nicht verlieren möchten und andererseits erleben müssen, dass diese Heimat ein Gefängnis ist. Ein Gefängnis im physischen Sinne, aber auch ein Gefängnis für jeden Traum, der per Gesetz einfach illegal wird. 
Sehr berührend, sehr eindringlich, gut lesbar, ein Stück neuerer deutscher Geschichte. Ich kann diese Erzählung nur weiterempfehlen, ein Büchlein, das ich immer wieder lesen würde :-)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Jeder liebe Kommentar zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht

Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...